Im Jahr 1843

bekam Karl Löffler in St. Märgen von seinem Bruder Andreas einen Brief mit Anweisungen für die Reise zum Ladengeschäft seines vom Schönbachhof stammenden Vetters Andreas Schwär in Walworth. Diese Reise würde ihn über Frankreich nach East End in London führen. In dem Brief hieß es: „Wenn er in London ankommt, so wird er so kleine Kutschen sehen, vor welchen nur ein Ross ist. Dann darf er nur den Finger aufstrecken und die Adresse sehen lassen von Andreas Schwär, dann wird er ihn vor sein Haus führen. Der Schwär wird den Fuhrmann schon bezahlen. Seine Adresse ist: Mr. Schwär & Co Clockmaker No 19 East Street Walworth Road”.

Der kleine Uhrmacher- und Juwelierladen „Schwar founded 1838“, der später in die Walworth Road umzog, existiert heute noch und erinnert an eine fast vergessene Einwanderergruppe, die im 19. Jahrhundert aus dem Schwarzwald nach London kam, die Schwarzwaldengländer. Der Uhrenhandel hat die Schwarzwälder über ganz Europa geführt, bis hin nach Amerika, Australien, nach Russland und in die Türkei. Auf nach der Art der Glasträger eigens gefertigten Gestellen, den „Krätzen“, gingen sie schwer bepackt zu Fuß ins „Uhrenland“, wo sie zuerst als fliegende Händler ihre Waren feilboten und sich mit der Zeit im jeweiligen Land ihre Geschäfte und Werkstätten aufbauten und die Uhren aus der Heimat einführten. Viele von ihnen hofften, ihr Glück zu machen und ihr Geschäft der nächsten Generation weiterzugeben bevor sie sich dann als angesehene und wohlhabende Leute im Schwarzwald zur Ruhe setzten.

Andreas Schwär war nicht der erste Schwarzwälder Uhrenhändler in London. Schon 1761 gründeten „Kleyser and Burger“ ihr Geschäft an der London Bridge und erledigten die Bankgeschäfte für die Schwarzwälder Uhrenhändler. Um das Jahr 1840 war dann bereits beinahe in jeder Londoner Straße ein Schwarzwälder mit Uhren auf dem Rücken anzutreffen, rund zwanzig Jahre später lebten rund tausend von ihnen allein in London und nahezu alle der in Laden, Werkstatt und Haushalt beschäftigten Personen stammten aus dem verwandtschaftlichen Umkreis des jeweiligen Inhabers, also aus dem Schwarzwald. Daraus lässt sich auch der große Erfolg der Schwarzwälder Uhren erklären, denn sowohl Herstellung als auch Transport und Verkauf blieben gewöhnlich in der Hand einer Familie. Dabei scheint es doch verwunderlich, so hebt ein englischer Journalist hervor, dass die Kontrolleure der englischen Industriestädte ihre Zeitmesser von einer bäuerlichen Region bezogen, in der es kaum jemals darauf ankam, die genaue Zeit zu wissen.

Diese in England ansässig gewordenen Schwarzwälder nannte der Volksmund „Schwarzwaldengländer“, eine Bezeichnung, die sich in den Uhrmachergebieten bis in unsere Tage gehalten hat und insbesondere für St. Märgen gilt. Viele von ihnen betrieben ihr Geschäft in England über mehrere Generationen. Hochzeiten und Taufen wurden meistens im Schwarzwald gefeiert oder auch, bei den in London lebenden Uhrenhändlern, in der Deutschen Katholischen Kirche St. Bonifaz in Whitechapel, die mit ihrer Schule und ihren Vereinen das Zentrum der Einwanderergemeinde in London war. In St. Bonifaz wird noch heute regelmäßig die Heilige Messe gefeiert. Viele der in England geborenen Nachfahren wuchsen im Schwarzwald auf und kamen dann als junge Uhrmacher nach England zurück.

Die Schwarzwaldengländer hielten viel auf die aus England mitgebrachten Sitten und fielen so in ihrer heimischen Umgebung besonders auf. Sie waren an ihrem zurückhaltenden vornehmen Wesen zu erkennen, das sie durch korrekte Kleidung und eine wertvolle Taschenuhr unterstrichen. Ihre Frauen waren an ihrem gediegenen Granatschmuck als „Engländerinnen“ zu erkennen. Diese trafen sich regelmäßig zur Teestunde, bei der sie sich ausschließlich in der englischen Sprache unterhielten.

Die ersten Ladeninhaber lebten äußerst genügsam, um später mit den Ersparnissen ein Hofgut in der Heimat erwerben zu können. Doch finden sich über den Schwarzwald verteilt heute noch extravagante Gebäude, die den Reichtum der Heimkehrer bezeugen. Dem ungastlichen winterlichen Schwarzwald zog man, wenn man es sich leisten konnte, die mildere Breisgaumetropole Freiburg vor. Sein Kapital und seine Branchenkenntnisse brachte man gerne als „Packer“ oder Wirt ein. Die Packer stimmten die internationale Nachfrage und das lokale Angebot aufeinander ab und erzielten im Vergleich zu den Uhrmachern unverhältnismäßig hohe Gewinne. Im Auftrag der Uhrenhändler packten sie jeweils Hunderte von Uhren und deren Zubehör in große Kisten und brachten diese auf voll beladenen, von Sechsspännern gezogenen, Fuhrwerken per Land- und Seefracht zum Versand. Ihre Wirtshäuser galten als Börse, wo es regen Informationsaustausch gab, Geschäfte abgeschlossen wurden und Uhrenhändler, oft in mehreren Sprachen parlierend, für weltstädtisches Flair sorgten.

„Eimol numme no am große Wasser stoh, uf s Schiff goh, d Segel flattere höre, vom Wind de Chopf freiblose lo und Business mache. Mit eme Sack voll Geld heimcho! Aber d Theres loss mi nit. Si heb ihre halb Leben uf mi gwartet, seit si!“
- Johann Georg Schwabs Bruder, Uhrmacher und Pfeifenschnitzer in „Die Schwarzwaldengländer“.

To Spiegelhalter

Wenn die jungen Männer als angehende Uhrenhändler aus St. Märgen nach England fortzogen, kannten sie nur vereinzelte englische Wörter, die ihnen zu Zeiten von Andreas Löffler der Lehrer Urban Heim beigebracht hatte. Trotz ihrer Unkenntnis der englischen Sprache machten die meisten gute Geschäfte. Einer von ihnen beeinflusste sogar unbewusst die Londoner Sprache.

Die Redewendung „To Spiegelhalter“ stand in den 1920ern und noch lange Zeit danach in Londoner East End Sprache für „Sich querstellen“. Sie geht, wie Susan Parish und Andrew Sawdon berichten, auf das Verhalten ihres Vorfahren Leo Spiegelhalter zurück.
Als Otto Spiegelhalter um 1880 in der Mile End Road No. 75 seinen Uhrenladen eröffnete, gab es in der Häuserreihe nebenan einen Tuchhändler, Mr. Wickham. Mit der Zeit expandierte und beanspruchte Wickham’s mehr Platz. Spiegelhalter zog mit seinem Laden in die No. 81 um, und Wickham’s eignete sich zuerst die No. 75 und dann alle anderen Läden bis zur No. 81 an, und einige Zeit später auch noch alle Läden auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Wickham’s wollte ein großartiges Warenhaus bauen, aber Otto Spiegelhalters Sohn Leo, der nun das Geschäft innehatte, rührte sich nicht. Wickham’s war nicht nur gezwungen, um ihn herum zu bauen, sondern auch das Eingangstor auf eine Seite zu verlegen. Der kleine Laden von Spiegelhalter wurde zum Symbol des kleinen David, der den großen und mächtigen Goliath besiegt hat.

Die Geschichte des Aufführungsortes „Goldene Krone“ in St. Märgen:
Das geschichtsträchtige ursprüngliche Gästehaus des Klosters ist nun wieder ein Schmuckstück. Der Bürgerinitiative und dem „Förderkreis lebendiges Dorf“ ist es gelungen, dieses für St. Märgen und den ganzen Hochschwarzwald bedeutende ehemals verwahrloste Baudenkmal in seiner historischen Form zu sanieren und damit der Dorfentwicklung wichtige soziale und kulturelle Impulse zu geben. Die durch bürgerliches Engagement vor dem Verfall gerettete, „Goldene Krone“, die einst in den Händen der tatkräftigen Wirtsfamilie Gerats weit über die Grenzen Deutschlands bekannt war, macht nun in einer globalisierten Welt vergessene regionale Besonderheiten bewusst und zeugt davon, dass Sanierung nicht mit Abriss gleichgesetzt werden muss. Sie stellt einen unschätzbaren kulturhistorischen Wert dar und ist mit der Geschichte St. Märgens und der touristischen Entwicklung des Schwarzwalds aufs Engste verbunden.   

Von der Klosterherberge zum Grand Hotel
Im Jahre 1757 ließ Abt Petrus Glunk die erste Hälfte des klostereigenen Gasthauses zur Unterbringung und Bewirtung von Pilgern und Geistlichen aufrichten und stellte hier später seinem getreuen Kammerdiener und Klosterschneider Josef Albert einen Krämerladen und eine Schneiderwerkstatt zur Verfügung. Als berühmtester Mieter zog im Jahre 1771 der Bildhauer Matthias Faller ein, dessen Tochter Maria Fassmalerin und Vergolderin, vor allem von Schildern von Schwarzwälder Uhren war. Im Jahre 1823 wurde das Kronenwirtshaus samt Scheuer zum Raub der Flammen. Das zweigeschossige barocke Haus wurde auf den alten Mauern mit dem gewölbten Keller wieder aufgebaut. Josef Fehrenbach hatte hier eine Uhrenpackerei für seinen Sohn in Amerika. Der spätere Wirt Adolf Rombach nutzte 1902 den aufkommenden Tourismus und hob den Dachstuhl für den dritten Stock. Der ehemals ländlich geprägte Pilgergasthof verwandelte sich in das führende Grand Hotel des Schwarzwaldes, das  mit seiner für die damalige Zeit luxuriösen Ausstattung wie Dampfheizung, Bäder, prachtvollem Lesezimmer und elegantem Jugendstilsaal zum Treffpunkt vieler Künstler, Philosophen und Gelehrter aus ganz Europa wurde.   

Die zentrale Lage und der großzügige Gartenbereich machen das Anwesen zu einem lebenswerten Standort. Das Gebäude bietet neben seinem aufwändig renovierten Jugendstilsaal weitere Räume für kulturelle Veranstaltungen. Im Erdgeschoss des traditionsreichen Hauses befindet sich ein Café, das mit Köstlichkeiten aus der Landfrauenküche, basierend auf regionalen Produkten und gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre, einen Dorfmittelpunkt schafft.

www.krone-st-maergen.de

Heidi Knoblich