Es ist wieder Linzertortenzeit!

Von Heidi Knoblich

Wenn der November kommt, wird das Backen der Linzertorte hierzulande zum Lebenselixier: Weihnachten ohne „Linzer“ käme in Baden einem Notstand gleich. Ihr unübertroffenes Geheimnis liegt im unvergleichlich duftenden Dreiklang von Zimt, Gewürznelken und der säuerlichen Süße der Himbeermarmelade, der umso intensiver wird, je länger sie gelagert wird.

Foto: Fritz Frech Foto: Fritz Frech

Ihr Gelingen hängt vom Verhältnis der einzelnen Zutaten ab und der Kunst des Backens: Wird z.B. der Teig für die Streifen, die mit dem Rädchen ausgerädelt werden, mit etwas mehr Mehl versetzt, sind diese besser formbar. Ich wundere mich heute noch darüber, wie meine Großmutter das akkurate Gitter zustande brachte, das durch seine darunter liegende Fülle aus der rot herausleuchtenden Himbeermarmelade zu lauter kleinen Rauten wurde.

Die Linzertorte gibt sich eher beiläufig und doch ist sie hier allgegenwärtig. Sie wird seit 315 Jahren nach demselben Grundrezept gebacken, wenn auch jede einzelne Badische Familie eine Großmutter oder eine Tante hat, die im Besitz des unbestreitbar besten Rezeptes überhaupt ist. Gelegentlich kommt dessen Ergebnis auch staubtrocken, steinhart und rußschwarz daher. Schön mürb und feucht muss sie sein. Wenn auch oft die flachere, dünnere Variante als Maßstab gilt, mag ich sie „pfulbig“, barock.

Es gibt kein Familienfest in Baden ohne Linzertorte. Und es ist kein Wunder, dass die „Linzer“ besonders im Raum Freiburg im Breisgau daheim ist, war der Breisgau doch über vierhundert Jahre Teil von Vorderösterreich. Im Stadtarchiv Freiburg befindet sich auch das älteste sich in Deutschland befindliche Rezept. Es stammt aus dem Jahr 1775 und ist nach dem ältesten österreichischen Rezept aus dem Jahr 1696 zugleich das zweitälteste überhaupt. Die Linzertorte ist vermutlich nach einer in Linz üblichen Teigart benannt, dem Linzer Teig, einem Mandel- oder Nussmürbteig: Es gibt den Braunen Linzer Teig, der mit Zimt und Nelken, manchmal Kakao, abgeschmeckt wird, und den Weißen Linzer Teig, der ohne Gewürze auskommt.

Während das österreichische Rezept der Linzer Torte Ribiselmarmelade, Marmelade aus Johannisbeeren, vorgibt, wird bei der Badischen Linzertorte Himbeermarmelade verwendet. Landestypisch ist hier nicht nur die andere Schreibweise, sondern auch das Kirschwasser im Teig. Überhaupt enthält die „Linzer“ alles, was seit jeher gut und teuer war: Es ist vor allem die beruhigende Schwere von Butter und Eiern, die fruchtige und fremdländische Frische der Zitrone und die bittere Süße der Mandeln oder das Nussaroma der Wal- oder auch Haselnüsse, die zusätzlich an dem Duft mitwirken, der einen unmittelbar in die Kindheit zurückschickt.

Drei bis vier Wochen sollte sie in einem kühlen, nicht trockenen Raum gelagert werden, bevor sie angeschnitten wird. Wer jemals als Kind staunend vor einem Stapel vor sich hin duftender reifer „Linzer“ gestanden ist, ist für sein Leben geprägt. Wie der Bruder meiner Freundin Brigitte, der lange in der New Yorker Werbebranche als Filmemacher tätig war und sich, kaum war der November gekommen, nach einer Linzertorte „Made in Baden“ sehnte. Nach mehreren unglücklichen Transportversuchen war endlich die richtige Verpackung gefunden: Eine Filmrolle! So erreichte Jahr für Jahr die „Linzer“ unbeschadet Amerika bis der Bruder eines Tages in einem Telefongespräch klagte: „Sobald ich mit einer Filmrolle unter dem Arm durch Manhattan gehe, habe ich ein Rudel Menschen hinter mir, die auf ein Stück Linzertorte hoffen.“

Tipp: Im Weinland Baden wird zur “Linzer” ein Glas Weißwein (Gutedel) getrunken, weil dieser das Mandel-Nuss-Aroma betont.

REZEPT LINZERTORTE
Spingform 26 cm ∅

Zutaten

Butter, Mehl, Zucker und gemischte gemahlene Nüsse (Walnüsse und Mandeln) je 250 g

1 gestrichener TL Backpulver

1 gestrichener TL Zimt

1 Messerspitze gemahlene Nelken

1 gehäufter TL Kakao

1 Gläschen Kirschwasser

1 Glas Himbeermarmelade

1 Eigelb

Zubereitung

Alles Zutaten zu einem glatten Teig verrühren. Mindestens eine Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. Eine Springform einfetten. Aus zwei Dritteln des Teiges einen Boden ausrollen und die Springform damit auskleiden. Die Marmelade darauf streichen. Aus dem restlichen Teig einen Rand und mehrere Streifen ausrädeln und das für die Linzertorte typsche Gitter über die Marmelade legen. Den Rand mit einer Gabel eindrücken, damit ein Muster entsteht. Das Gitter und den Rand mit dem verquirlten Eigelb bestreichen. Die Linzertorte zwischen 50 und 60 Minuten bei 160 Grad Celsius backen. 

Ein paar Tage kühl und trocken lagern.